Gedenkorte
In fast jeder ukrainischen Stadt oder jedem ukrainischen Dorf gibt es ein oder mehrere Denkmäler für die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Manchmal befinden sich diese Gedenkzeichen an authentischen Orten der Gewalt und an Massengräbern, manchmal an symbolischen Orten. Einige der Denkmäler wurden in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende errichtet, andere erst in den 1990er Jahren in der unabhängigen Ukraine. Es gibt aber auch Gewaltorte, die nicht gekennzeichnet, die nur noch wenigen Menschen bekannt oder die in Vergessenheit geraten sind. Jede dieser Stätten ist mit individuellen Schicksalen und Geschichten verbunden, die nach Möglichkeit bewahrt werden müssen.
Etwa 1,5 Millionen Juden wurden während der deutschen Besatzung auf dem Gebiet der heutigen Ukraine ermordet. Mehr als eine Million von ihnen wurden in abgelegenen Schluchten, Wäldern, mitten auf Feldern, in ehemaligen Panzergräben oder Sandgruben von Einheiten der Wehrmacht, der SS und der Polizei unter Beteiligung einheimischer Helfer erschossen und in Massengräbern verscharrt. Ganze jüdische Gemeinden wurden ausgelöscht, oft innerhalb weniger Tage. Die Existenz von rund 2.000 Massengräbern ermordeter Juden spiegelt die Gegenwart des Holocaust für die Ukraine wider.
Zehntausende von Roma, Patienten in psychiatrischen Einrichtungen, Kriegsgefangene und tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner des Besatzungsregimes fielen ebenfalls der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zum Opfer.
»Netzwerk Erinnerung« betrachtet Gedenkorte auf mehreren Ebenen:
- als Orte von Verbrechen und Massengewalt;
- als Begräbnisstätten für Opfer der deutschen Besatzer und ihrer Helfer;
- als Orte des ständigen Wandels von Erinnern und Vergessen;
- als Spiegel der Bedeutung dieser Orte für die zeitgenössische Gesellschaft.
Wir sehen einen dringenden Bedarf für den nachhaltigen und würdigen Schutz und den Erhalt von Gedenkorten.
Wenn wir mit den Massengräbern der Holocaustopfer arbeiten, halten wir uns an die religiösen Gesetze der Halacha und bemühen uns, die Ruhe der Toten zu wahren. Bei der Arbeit an den Stätten des Völkermords an den Roma ist es wichtig, die Geschichte der Roma sichtbar zu machen, auch wenn es nur wenige oder keine spezifischen Informationen über die Opfer gibt. Es ist auch unerlässlich, die lokale Geschichte nicht nur auf die Opferrolle zu reduzieren, sondern ebenso das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leben der Ermordeten und ihre Rolle für die lokalen Gemeinschaften aufzuzeigen. Die lokale Geschichte sollte zudem in den breiteren Kontext der multikulturellen Geschichte der Ukraine sowie in den globalen Kontext des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs gestellt werden.
Heute sind viele der Erinnerungsorte beschädigt, unzugänglich oder durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine von Zerstörung bedroht. Umso notwendiger ist es, das Wissen über diese Erinnerungslandschaften zu bewahren und ihren aktuellen Wandel weiter zu dokumentieren. Ebenso wichtig ist es, lokale Initiativen, Gedenkpraktiken, die Pflege von Gedenkstätten und die lokale Geschichtsforschung zu unterstützen und zu dokumentieren, denn diese Arbeit ist ein herausragender Bestandteil der Memorialisierung von Erinnerungslandschaften.